In Nordrhein-Westfalen leben rund 50.000 Kinder und Jugendliche in Heimen, Wohngruppen oder bei Pflegeeltern. Rund ein Drittel der Jugendlichen, die mit 18 Jahren aus der stationären Jugendhilfe entlassen werden, haben Studien zufolge weder eine Ausbildung noch einen Job und sind ganz auf sich alleine gestellt. Sie benötigen dringend weitere Unterstützung der Jugendhilfe, erhalten diese aber zu selten, kritisieren Experten der Freien Wohlfahrtspflege NRW heute auf einem Fachtag in Köln.
„Unsere Beschwerdestellen berichten vermehrt von Hilferufen junger Volljähriger, die nicht mehr betreut werden, obwohl sie weder eine eigene Wohnung, einen Ausbildungsplatz oder eine Arbeit haben“, erklärt Helga Siemens-Weibring, Vorsitzende des Ausschusses Familie, Jugend, Frauen der Freien Wohlfahrtspflege NRW. Viele Jugendämter gewährten die Hilfen, die den Jugendlichen bis zum Alter von 27 Jahren zuständen, nur noch im Notfall oder bei besonders günstigen Entwicklungsprognosen. So könnten sie Kosten sparen.
Genaue Zahlen über Abbrüche von Hilfen gegen den Willen der Jugendlichen liegen zwar nicht vor. Doch die Situation hat sich nach Ansicht der rund 150 Experten, die an dem Fachtag teilnehmen, verschärft. „Nicht selten landen Jugendliche aus Einrichtungen der stationären Jugendhilfe nach dem 18. Lebensjahr in der Obdachlosigkeit, nachdem sie mit krisenhaften Situationen überfordert gewesen sind und keine geeigneten erwachsenen Ansprechpartner gefunden haben“, beobachtet der Jugendexperte des Diakonischen Werkes Rheinland-Westfalen-Lippe, Remi Stork.
Dieter Göbel, Leiter des Fachbereichs Jugend im Landschaftsverband Rheinland, verweist darauf, dass nicht nur die Jugendhilfe damit überfordert ist, weitere sozialpädagogische Begleitung anzubieten. Auch andere Hilfe- und Unterstützungssysteme für junge Volljährige seien oft nicht gut ausgebaut oder könnten mit den erheblichen Herausforderungen nicht gut umgehen, so Goebel.
Zwar entwickeln einzelne Kommunen und Träger durchaus neue Übergangskonzepte in die Selbständigkeit oder in andere Hilfesysteme. Was aber fehle, seien Hilfen aus einer Hand, bemängelt Helga Siemens-Weibring. Das könne zum Beispiel durch Beratungsstellen geschehen, die den jungen Erwachsenen bei der Wohnungs- und Jobsuche sowie Behördengängen helfen. Die Ausschussvorsitzende fordert besonders die Bundesregierung auf, bei der geplanten Novellierung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes die Rechtsansprüche junger Volljähriger deutlicher als bisher festzulegen. „Diese Hilfeleistungen dürfen nicht mehr Kann- und Sollvorschriften sein wie bisher. Dann sind sie auch nicht mehr abhängig von der Kassenlage der Jugendämter.“