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Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege des Landes Nordrhein-Westfalen e. V. | Aufruf

NRW, bleib sozial!

Aufruf für ein soziales Nordrhein-Westfalen

Kindertageseinrichtungen und Offener Ganztag, Pflegeeinrichtungen und Angebote für Menschen mit Behinderungen, Integration von Geflüchteten, Schuldnerberatung oder Jugendförderung: Die soziale Infrastruktur in Nordrhein-Westfalen steht auf der Kippe, und Einrichtungen und die Menschen, die auf sie angewiesen sind, wissen nicht, wie es weitergehen soll. 

Mitarbeitende und Träger sozialer Angebote sind am Limit. Die Probleme sind vielschichtig: unklare Zukunftsperspektiven,unzureichende Refinanzierung, fehlende Standards und akute Personalnot. Die Bedingungen, unter denen soziale Arbeit geleistet wird, sind vielerorts prekär und unterfinanziert. In der Folge müssen viele Träger Angebote einschränken oder ganz einstellen.

Reduzierung von Öffnungszeiten, Schließung von Angeboten und drohende Insolvenzen: Das leise Sterben der sozialen Infrastruktur in Nordrhein-Westfalen hat begonnen. Mangelverwaltung gehört seit Jahren zum traurigen Alltag, nun ist der Kipppunkt erreicht. In dieser dramatischen Lage machen wir aufmerksam auf die dringenden Probleme und fordern die Politik auf, sich für eine umfassende Verbesserung der Situation der sozialen Träger einzusetzen. Denn:

So geht es nicht mehr weiter!

Politik muss jetzt handeln, sonst drohen durch den Wegfall zahlreicher sozialer Angebote große gesellschaftliche und politische Nöte. Die folgenden Schritte sind entscheidend, um diese Angebote in Nordrhein-Westfalen zu sichern und eine qualitativ hochwertige soziale Arbeit aufrechtzuerhalten.

Wir fordern:

  • finanzielle Absicherung: Soziale Einrichtungen leisten wertvolle Arbeit und verdienen angemessene finanzielle Unterstützung. Ganz akut geht es darum, Schließungen aufgrund von Unterfinanzierung zu verhindern und Trägern zu ermöglichen, ihre Mitarbeiter*innen angemessen zu entlohnen. Auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten braucht es eine rechtzeitige und auskömmliche Finanzierung.
  • gesicherte Qualität und Verlässlichkeit: Gute soziale Arbeit braucht klare rechtliche Standards und gute Arbeitsbedingungen. Nur durch attraktive Rahmenbedingungen, wird man zukünftig dringend benötigte Fachkräfte anziehen können. Es muss sichergestellt sein, dass hochwertige und verlässliche soziale Arbeit für alle garantiert werden kann.
  • ein öffentliches Bekenntnis für den Wert sozialer Dienstleistungen: Wir fordern aktive politische Anerkennung und Unterstützung für soziale Einrichtungen, um deren gesellschaftliche Bedeutung zu unterstreichen. Dabei haben wir genug von Lippenbekenntnissen und fordern, dass sich dieses Bekenntnis auch in Form von praktischen und spürbaren Verbesserungen widerspiegelt.

Hintergrund

Die Unsicherheit über die Zukunft sozialer Dienstleistungen ist so groß wie nie. Die Rahmenbedingungen waren schon in der Vergangenheit selten auskömmlich, nun sind sie endgültig untragbar. Die Träger hängen häufig von öffentlicher Finanzierung ab, doch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zögern die Kostenträger, die notwendigen Mittel bereitzustellen. Viele Träger bekommen seit Jahren unveränderte Pauschalen, deren Nichtanpassung sich faktisch wie Kürzungen auswirken. Tatsächliche und aktuell bestehende Mehrkosten werden nicht anerkannt. Oft fehlen klare rechtliche Ansprüche, die Träger sind vom Wohlwollen der Kostenträger abhängig. Viele Einrichtungen rutschen dadurch jetzt in akute Finanzierungsprobleme. Damit einher geht eine Gefährdung der Trägervielfalt, welche aktuell sicherstellt, dass individuellen Bedürfnissen Rechnung getragen werden kann. Künftige Wahlmöglichkeiten unter den Angeboten werden somit reduziert.

Das Durchhaltevermögen der Träger, Angestellten und Ehrenamtlichen ist zunehmend erschöpft. Der Rückbau oder gar die Einstellung sozialer Angebote wird zunehmend zur Realität. Während Soziale Einrichtungen in der Vergangenheit Unterfinanzierung durch eigene Mittel, z.B. durch Spenden oder Mitgliedsbeiträge, abfedern konnten, sind die Rücklagen vielerorts endgültig aufgebraucht. Die Krisen der vergangenen Jahre, allen voran die Corona-Pandemie, haben die Ressourcen der Einrichtungen aufgezehrt. Gerade in dieser Zeit wurde auch von öffentlicher Seite immer wieder der Wert frei-gemeinnütziger Organisationen im Sozialbereich betont. Sie haben mit ihrer Arbeit und ihrem Engagement maßgeblich dazu beigetragen, dass wir als Gesellschaft durch diese Krise hindurchgekommen sind.

Durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat sich diese Situation noch einmal dramatisch verschärft. Die dem Krieg folgenden inflationsbedingten Preissteigerungen haben soziale Organisationen genauso getroffen wie den Rest der Gesellschaft. Allerdings wurde die Resilienz der Träger, solche Krisen durchzustehen, in den vergangenen Jahren massiv geschwächt. Vor besondere Herausforderungen werden die Träger aktuell durch die steigenden Personalkosten gestellt. Wenn diese Kostensteigerungen sich nicht in höheren Refinanzierungen für die Träger niederschlagen, nimmt man in Kauf, dass Träger entweder nicht in der Lage sein werden, ihre Mitarbeitenden entsprechend zu bezahlen, oder eine finanzielle Mehrbelastung eingehen müssen, die sie an den Rand ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit treibt.   

Die Mitarbeitenden, die Betroffenen (Kinder, Familien und ältere Menschen) sowie Angehörige sind die Leidtragenden dieser Entwicklung. Viele Mitarbeitende wandern bereits jetzt in weniger prekär finanzierte Bereiche ab. Der Fachkräftemangel trifft die sozialen Organisationen besonders hart. Die ungünstigen Rahmenbedingungen machen es potentiellen Fachkräften nicht einfach, sich für einen Beruf in diesem Bereich zu entscheiden. Der positive Fokus auf den Wert der Sozialberufe, der während der Pandemie vielerorts beschworen wurde, hat sich als kurzlebig erwiesen. Faktisch folgten kaum nachhaltige Verbesserungen der Rahmenbedingungen. Dadurch leiden vor allem Familien mit Kindern oder älteren Angehörigen, denen ein qualitativ hochwertiges und verlässliches Angebot in den Einrichtungen verwehrt bleibt.  

Wir stehen in Nordrhein-Westfalen an einem Wendepunkt. Wenn es uns als Gesellschaft nicht gelingt, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, wird es die soziale Landschaft, wie wir sie brauchen, nicht mehr lange geben. Bund, Land und Kommunen müssen sich zu ihrer Verantwortung bekennen und unverzüglich Maßnahmen zur Rettung der sozialen Infrastruktur ergreifen!