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Stellungnahme zum Antrag der AfD Fraktion „Wahrung der politischen Neutralität bei öffentlich geförderten Trägern der Kinder- und Jugendhilfe statt parteipolitischer Agitation“ vom 13.05.2025 (Drucksache 18/13826)

Die Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege des Landes Nordrhein-Westfalen (LAG FW NRW) stellt gerne ihre Expertise zur Beratung des Antrags der AfD-Fraktion „Wahrung der politischen Neutralität bei öffentlich geförderten Trägern der Kinder- und Jugendhilfe statt parteipolitischer Agitation“ zur Verfügung. 

Wir möchten ausdrücklich darauf hinweisen, dass wir mit Bedauern feststellen, dass das hier vorliegende Anliegen bereits wiederholt behandelt worden ist. Es geht vermeintlich um die Frage der politischen Neutralität nicht-staatlicher Organisationen der Zivilgesellschaft, die durch staatliche Programme gefördert werden.[1] Das Argument der Neutralität wird in den vorliegenden Anfragen und Anträgen allerdings instrumentalisiert. Die Initiativen verfolgen das Ziel, Nichtregierungsorganisationen in ihrer politischen Meinungsäußerung und ihrem politischen Engagement zu beschränken. Mit den Anträgen und Anfragen wird das legitime, verfassungsrechtlich geschützte Engagement der Zivilgesellschaft als parteiische Einflussnahme umgedeutet. Die Strategie der Umdeutung wird genutzt, um Druck auf zivilgesellschaftliche Organisationen auszuüben. Darüber hinaus soll durch die Anträge und Anfragen bewusst der Eindruck vermittelt werden, dass bestimmte politische Positionen durch staatliche Förderung unterstützt und bevorzugt werden. Dabei zeichnen die Narrative in den Anträgen und Anfragen ein verzerrtes Bild, indem feststehende Regelungen des Landeshaushaltsrechts, des Vergabe- und Steuerrechts sowie der Sozialgesetzbücher ignoriert werden. 

Bevor wir dezidiert zu den im Antrag formulierten Forderungen Stellung nehmen, möchten wir ausdrücklich auf die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage zur politischen Neutralität staatlich geförderter Organisationen in NRW (Drucksache 18/14721, Große Anfrage-Antwort) verweisen. Wir unterstützen vollumfänglich die Auffassung der Landesregierung. 

Zahlreiche der in diesem Antrag formulierten Aussagen wurden durch die Landesregierung bereits widerlegt. Hervorzuheben ist, dass die Landesregierung in ihrer Antwort deutlich macht, dass für förderberechtigte NGOs kein generelles Gebot politischer Neutralität gilt. Sie können sich politisch engagieren, solange ihr politisches Engagement im Rahmen ihrer satzungsgemäßen, gemeinnützigen Zwecke liegt. Auf Seite 17 ist nachzulesen: 

„Während somit der Staat als Zuwendungsgeber selbstverständlich zur Neutralität verpflichtet ist, wäre es ein grundlegendes Missverständnis des freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens anzunehmen, die der Sphäre der Zivilgesellschaft zuzuordnenden Zuwendungsempfängerinnen und -empfänger seien im Rahmen der Ausübung ihrer grundrechtlich geschützten Freiheiten ebenfalls zu politischer Neutralität verpflichtet. Vielmehr gewährleistet das Recht zur freien Meinungsäußerung eine freie geistige Auseinandersetzung über Gegenstände von allgemeinem Interesse und staatspolitischer Bedeutung; umfasst ist damit gerade auch das Recht auf freie politische und kollektive Meinungsäußerung.“

Basierend auf den Ausführungen der Landesregierung stellen wir fest, dass beispielsweise der Einsatz für eine demokratische, offene und vielfältige Gesellschaft sowie das Eintreten gegen Rechtsextremismus und rechtsextreme Positionen nicht im Widerspruch zur Neutralität stehen und nicht mit parteipolitischer Agitation gleichzusetzen sind. Es ist das Grundrecht zivilgesellschaftlicher Organisationen, Haltung auszudrücken und auf politische Entwicklungen zu reagieren. Das gilt ebenfalls und insbesondere für öffentlich geförderte Träger der Kinder- und Jugendhilfe. 

 

Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe 

In den Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe werden zentrale Themen des Zusammenlebens aufgegriffen und behandelt. (Partei)politische sowie religiös-weltanschauliche Fragen können und dürfen dabei nicht ausgeklammert werden. Die subjekt- und partizipationsorientierte Arbeit der Kinder- und Jugendhilfe ist dabei durch das SGB VIII und die verfassungsrechtlichen Werte geprägt.[2]

Träger der freien Jugendhilfe unterliegen – wie beschrieben – grundsätzlich keinem Neutralitätsgebot. Die Jugend- und Familienministerkonferenz weist vielmehr darauf hin, dass ein solches Neutralitätsgebot verfassungsrechtlich nicht normiert ist.[3] Die über den Kinder- und Jugendförderplan des Landes geförderten Träger und Jugendverbände unterliegen den Grundrechten wie der Meinungs- und Versammlungsfreiheit und haben das Recht, eine eigene politische Haltung zu vertreten. 

Träger der freien Jugendhilfe und (ihre) Jugendverbände dürfen sich klar von demokratie- und menschenfeindlichen Positionen abgrenzen. Die Übertragung des staatlichen Neutralitätsgebots auf Träger der freien Jugendhilfe und Jugendverbände durch Förderbedingungen ist unzulässig. Die Förderung nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz muss das "satzungsgemäße Eigenleben" (vgl. § 12 SGB VIII) der Verbände respektieren. Auch in der politischen Bildungsarbeit gibt es kein parteipolitisches Neutralitätsgebot. Vielmehr geht es um die Vermittlung demokratischer Werte und die kritische Auseinandersetzung mit kontroversen Themen. Hierbei ist es sogar geboten, demokratiefeindliches rechtsextremes Gedankengut einzelner politischer Parteien zu entlarven und ihm keine gleichwertige Plattform zu bieten.[4]

 

Position der Freien Wohlfahrtspflege NRW

In dem vorliegenden Antrag wird die Forderung aufgestellt, „dass öffentliche Mittel im Rahmen des Kinder- und Jugendförderplans ausschließlich in Übereinstimmung mit dem Gebot parteipolitischer Neutralität verwendet werden und sich Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe lediglich zu aktuellen politischen Fragen äußern, sofern diese ihrem satzungsgemäßen Zweck entsprechen“. Weiter wird gefordert, „die Zuwendungsvoraussetzungen in der Förderrichtlinie zum Kinder- und Jugendförderplan so zu konkretisieren, dass die Einhaltung parteipolitischer Neutralität für alle Empfänger öffentlicher Mittel verbindlich geregelt wird“.

Davon abgesehen, dass beide Forderungen redundant sind, weisen wir diese mit aller Deutlichkeit zurück.

Träger der freien Jugendhilfe sind von öffentlicher Förderung abhängig. Die entsprechende Verpflichtung zur Förderung ist im Kinder- und Jugendhilfegesetz geregelt. Die im Antrag formulierte Behauptung, dass damit automatisch das Neutralitätsgebot des Staates auf die Träger übertragen werde, ist irreführend und schlichtweg falsch. Vielmehr darf der Staat seine Pflicht zur parteipolitischen Neutralität nicht durch die Fördermittelvergabe gezielt umgehen, indem er nur einseitig Projekte oder Träger fördert, die bestimmte Werte vertreten bzw. parteipolitisch einseitig agieren. Diese Gefahr besteht aber in der Kinder- und Jugendhilfe schon deshalb nicht, da in § 3 SGB VIII festgelegt ist: „Die Jugendhilfe ist gekennzeichnet durch die Vielfalt von Trägern unterschiedlicher Wertorientierungen und die Vielfalt von Inhalten, Methoden und Arbeitsformen.“ Diese Vielfalt ist auch bei der Auswahl der zu fördernden Maßnahmen und Trägern zu beachten. Die Grenze der Vielfalt ist in § 75 (1) SGB VIII benannt. Alle Träger müssen „die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit bieten.“ Die pauschale Übertragung des Neutralitätsgebotes ist auch vor dem Hintergrund des grundrechtlichen Schutzes der Meinungsfreiheit nicht hinzunehmen.[5] Gerade für Akteure im Feld der politischen Jugendbildung ist es rechtlich möglich, auch Positionen einzelner Parteien sachlich begründet als rassistisch oder rechtsextrem zu benennen.[6]

Für die spezielle Förderung von Jugendverbänden und -ringen ergibt sich aus der Regelung des § 12 SGB VIII, dass staatliche Akteure deren grundrechtliche Freiheiten nicht durch die Regelungen in Förderbedingungen einschränken dürfen. So sind Jugendverbände „unter Wahrung ihres satzungsmäßigen Eigenlebens“ zu fördern. Darüber hinaus ist geregelt: „Durch Jugendverbände und ihre Zusammenschlüsse werden Anliegen und Interessen junger Menschen zum Ausdruck gebracht und vertreten.“ – Dies durch eine Verpflichtung zur sogenannten Neutralität einzuschränken, würde diesem Grundsatz widersprechen.

Durch die bestehenden Regelungen der Landeshaushaltsordnung, insbesondere §§ 23 und 44 LHO, ist darüber hinaus eine zweckentsprechende Verwendung von Fördermitteln festgelegt. Die zweckmäßige Verwendung von Zuwendungen müssen die Träger durch Verwendungsnachweisen belegen. Bei Nicht-Einhaltung gibt es Möglichkeiten zur Rückforderung. Prüf- und Kontrollverfahren sind ausreichend geregelt. Es bedarf daher keiner weiteren Regelungen. Aufgrund des nicht bestehenden Neutralitätsgebotes ist eine Prüfung von „Verstößen gegen das Neutralitätsgebot und Sanktionen bis hin zum Entzug der Fördermittel“ darüber hinaus nicht rechtmäßig.  

Eine weitere Forderung, die in dem Antrag formuliert wird, bezieht sich auf die Bundesebene. Die Landesregierung soll „sich auf Bundesebene für eine Klarstellung der rechtlichen Rahmenbedingungen zur politischen Betätigung gemeinnütziger Organisationen einzusetzen.“ In ihrer Antwort auf die Große Anfrage zur parteipolitischen Neutralität hat die Landesregierung bereits unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme der Bundesregierung Position bezogen. So heißt auf Seite 28: „Die Bundesregierung hat zu dieser Frage in der den Fragestellern bekannten Bundestags Drucksache 20/15501 vom 12. März 2025 wie folgt Stellung genommen: ‚Im steuerlichen Gemeinnützigkeitsrecht darf eine Körperschaft bereits nach geltendem Recht ihre Mittel weder für die unmittelbare noch für die mittelbare Unterstützung oder Förderung politischer Parteien verwenden, § 55 Absatz 1 Nummer 1 Satz 3 der AO. Insofern ist im Steuerecht hier keine ergänzende Regelung erforderlich.‘“

 

Fazit

Mit dem vorliegenden Antrag befeuern die Antragsteller den demokratiefeindlichen Mythos einer Neutralitätspflicht für zivilgesellschaftliche Organisationen. Die dargestellte Behauptung, dass öffentlich geförderte freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe sich gegenüber allen politischen Parteien neutral zu verhalten haben, ist rechtlich nicht haltbar. So wird der Begriff des „Neutralitätsgebots“ an dieser Stelle instrumentalisiert, um freie Träger der Jugendhilfe zu verunsichern und in Bezug auf ihre Abhängigkeit von öffentlicher Förderung einzuschüchtern. Der Versuch, das staatliche Neutralitätsgebot auf landesgeförderte freie Träger zu übertragen, stellt eine ernsthafte Bedrohung der Freiheit der freien Träger der Jugendhilfe und ihrer unverzichtbaren Funktion innerhalb der Demokratie dar.[7] Aus Sicht der Freien Wohlfahrtspflege NRW ist der Landtag NRW aufgefordert, sich dieser wiederholten Strategie der Umdeutung des staatlichen Neutralitätsgebots entschieden gegenzustellen. 
 


[1] „Politische Neutralität staatlich geförderter Organisationen in NRW“, Große Anfrage der AfD Fraktion, Drucksache 18/13444, 10.04.2025, MMD18-13444.pdf

„Gilt an der Katharina-Henoth-Gesamtschule noch politische Neutralität?“, Kleine Anfrage der AfD Fraktion, Drucksache 18/13502, 15.04.2025, MMD18-13502.pdf

„Parteipolitische Neutralität von Jugendverbänden und Trägern der öffentlichen und der freien Jugendhilfe“, Kleine Anfrage der AfD Fraktion, Drucksache 18/13588, 24.04.2025, MMD18-13588.pdf

„Start der „Meldestelle zu antimuslimischem Rassismus“ (MEDAR) – Wie ‚neutral‘ sind die beteiligten Akteure?“, Kleine Anfrage der AfD Fraktion , Drucksache 18/12891, 17.02.2025, MMD18-12891.pdf

„Politische Neutralität in Krankenhäusern im Kontext ihrer Rolle in der Daseinsvorsorge und des ärztlichen Ethos“, Kleine Anfrage der AfD Fraktion, Drucksache 18/11420, 12.11.2024, MMD18-11420.pdf

„Politische Bildungsveranstaltungen an Schulen – Neutralität gewährleisten“, Antrag der AfD Fraktion, Drucksache 18/13828, 13.05.2025, MMD18-13828.pdf

[2] Demokratisch und nicht indifferent – Orientierungen und Positionierungen zum Neutralitätsgebot in der Kinder- und Jugendhilfe. Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ. Online unter: https://www.agj.de/fileadmin/files/positionen/2023/Positionspapier_Neutralitätsgebot.pdf

[3] Externes Ergebnisprotokoll der JFMK 2025. Online unter: https://www.dbjr.de/fileadmin/Publikationen/2025/Externes-Ergebnisprotokoll-der-JFMK-2025.pdf

[4] Mythos Neutralitätsgebot: Eine Handreichung für mehr Handlungssicherheit in der Praxis. Handreichung des Deutschen Bundesjugendring – DBJR. Online unter: https://www.dbjr.de/artikel/mythos-neutralitaetsgebot-eine-handreichung-fuer-mehr-handlungssicherheit-in-der-praxis

[5] Vgl. Hufen (2018), „Politische Jugendbildung und Neutralitätsgebot“ in: Recht der Jugend und des Bildungswesens – RdJB, Jg. 66, Heft 2, S. 216 – 221.

[6] http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/publikationen/detail/das-neutralitaetsgebot-in-der-bildung

[7] Mythos Neutralitätsgebot: Eine Handreichung für mehr Handlungssicherheit in der Praxis. Handreichung des Deutschen Bundesjugendring – DBJR. Online unter: https://www.dbjr.de/artikel/mythos-neutralitaetsgebot-eine-handreichung-fuer-mehr-handlungssicherheit-in-der-praxis

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