Gegenstand der Anhörung ist ein Antrag der Fraktion der SPD (Drucksache 18/15584), der die Landesregierung auffordert, die Inklusion von Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt gezielt auszubauen. Der Antrag nimmt Bezug auf die UN-Behindertenrechtskonvention, deren Umsetzung die LAG FW unterstützt. Die LAG FW stimmt der SPD zu, was auch die im Antrag dargestellten aktuellen Zahlen aus NRW belegen: Die Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Arbeitsmarkt ist nach wie vor unzureichend und das Potenzial für mehr Vielfalt in Unternehmen sowie für eine stärkere gesellschaftliche Teilhabe der Menschen bleibt ungenutzt.
Insgesamt begrüßt die LAG FW die Inklusionsinitiative des Landes als wichtigen Schritt: Die Landesregierung nimmt das Problem wahr und strebt gemeinsam mit den Sozial- und Arbeitsmarktpartnern sowie der Freien Wohlfahrtspflege als zivilgesellschaftlichem Partner und große Arbeitgeberin eine Verbesserung der Situation an. In den beiden Arbeitsgruppen werden bereits unterschiedliche Aspekte behandelt und verschiedene Ansätze befinden sich derzeit in der Umsetzung, z. B. die Online-Informationsreihe für Arbeitgeber, die am 04.12.2025 gestartet ist. Wie wirksam diese Maßnahmen sind, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt jedoch noch nicht beurteilen.
Deutlich wird jedoch, dass zumindest die bisherigen Aktivitäten der Landesregierung nicht ausgereicht haben, um die Situation von Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt nachhaltig zu verbessern. Wir erwarten von den Maßnahmen, die im Rahmen der Inklusionsinitiative umgesetzt werden, dass sie nicht ausschließlich auf Best-Practice-Beispiele und die Einsichtsfähigkeit von Arbeitgebern setzen. Das Vorhaben der Bundesregierung, die Arbeits- und Ausbildungsperspektiven für (schwer)behinderte Menschen zu verbessern, darf – im Interesse der Betroffenen und uns als Gesellschaft – nicht scheitern.
Deshalb bringt die LAG FW konkrete Ideen ein, die politisch – sowohl innerhalb als auch außerhalb dieser Initiative – umgesetzt und begleitet werden müssen:
- Partizipation: Maßnahmen und Ideen, die im Rahmen der Inklusionsinitiative am „grünen Tisch“ entwickelt werden, müssen von Anfang an gemeinsam mit Menschen mit Behinderung (z. B. Vertretungen von Werkstätten für Menschen mit Behinderungen) erarbeitet werden. Alternativ sollte zumindest ein Format eingerichtet werden, das die Praxistauglichkeit der Ideen für und durch die Betroffenen prüft.
- Steuerliche Anpassungen: Die Beschäftigungsquoten öffentlicher und privater Arbeitgeber zeigen, dass insbesondere private Arbeitgeber ihrer Beschäftigungspflicht oft nicht oder nur unzureichend nachkommen. NRW muss sich auf Bundesebene dafür einsetzen, dass die Ausgleichsabgabe nicht teilweise (circa 30 Prozent) wieder über Steuern („Betriebsausgaben“) geltend gemacht werden kann. Die Abgabe muss in den Betrieben spürbare Wirkung entfalten und ein Umdenken bewirken. Wir fordern einen ernsthaften Strategiewechsel, der insbesondere private Arbeitgeber stärker in die Verantwortung nimmt, ihren gesetzlichen Pflichten zur Ausbildung und Beschäftigung von (schwer)behinderten Menschen endlich nachzukommen.
- Die Quote erfolgreicher Übergänge von der Werkstatt für Menschen mit Behinderung (WfbM) in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung außerhalb der Werkstatt liegt trotz aller Absichtsbekundungen weiterhin im Promillebereich, also weit unter einem Prozent. Auch hier muss die Landesregierung endlich wirksame Maßnahmen ergreifen, die nicht nur die Arbeitgeber in die Pflicht nehmen, sondern auch die Landschaftsverbände als Kostenträger für eine unbürokratische, transparente und proaktive Nutzung der Förderinstrumente verantwortlich machen. Dafür sind Kreativität und Flexibilität aller Akteure gefragt: So könnten beispielsweise bestehende Leistungen, wie der vertraute Fahrdienst zum Arbeitsplatz, auch im Übergang genutzt werden. Inklusion muss auch in Verwaltungsprozessen stets einfacher sein als Exklusion.
Es gibt gute Beispiele, die zeigen, dass schwerbehinderte Menschen aus Werkstätten, die von Beschäftigungs- und Bildungsträgern der Freien Wohlfahrtspflege qualifiziert und weitergebildet werden, deutlich bessere Chancen auf eine Vermittlung in eine Beschäftigung außerhalb der Werkstatt haben. Dies sollte zu jedem berufsbiographischen Zeitpunkt für die Menschen möglich sein. Die regionale Vernetzung der gemeinnützigen Träger mit den örtlichen Arbeitgebern ermöglicht eine direkte Vermittlung nach Abschluss der Qualifizierung – vorausgesetzt, die Träger werden im Rahmen eines ganzheitlichen Ansatzes auch mit der Vermittlung betraut. Die Träger und/oder WfbM stehen den Unternehmen darüber hinaus weiterhin für Rückfragen zur Verfügung, was für viele Arbeitgeber wichtig ist. Solche Angebote müssen dringend ausgebaut und vollständig refinanziert werden.
Wir begrüßen die im Antrag der SPD vorgeschlagene Maßnahme zur stärkeren Förderung der Teilqualifizierung für Menschen mit Behinderung. Diese Angebote müssen zukünftig flächendeckend in NRW zur Verfügung stehen. Damit das gelingt, muss sich NRW auf Bundesebene dafür einsetzen, dass die Agenturen für Arbeit und die Jobcenter ausreichend Mittel für diese Instrumente bereitstellen können.
Auch die Möglichkeit, eine theoriereduzierte Fachpraktikerausbildung anzubieten, sollte grundsätzlich ausgebaut werden – gegebenenfalls in Kombination mit „Lernort-Wohnen“. Dafür kann auch das Budget für Ausbildung (§61a SGB IX) genutzt werden. Die Vermittlungsquoten von Menschen mit Behinderung nach Abschluss einer Fachpraktikerausbildung sind in der Regel sehr hoch, da die Träger bereits während der Ausbildungszeit beim Bewerbungsprozess unterstützen und auch nach dem Berufseinstieg noch mindestens sechs Monate zur Verfügung stehen. Auch wenn diese Maßnahmen pro Person zunächst investitionsintensiv erscheinen, tragen sie langfristig dazu bei, dass Menschen mit Behinderung in Beschäftigung gelangen, nicht dauerhaft auf Transferleistungen angewiesen sind und zur Wertschöpfung beitragen. Sie helfen, den Fachkräftemangel zu reduzieren und durch höhere Kaufkraft die Wirtschaft zu stärken. Der größte Gewinn besteht in der Förderung sozialer Teilhabe, der individuellen Entwicklung der Betroffenen und der Bereicherung der Unternehmen durch Vielfalt.
Zunächst wäre es sinnvoll, in Nordrhein-Westfalen landeseinheitliche Vorgaben zu schaffen, um eine landesweite Anerkennung von Fachpraktikerausbildungen sicherzustellen. Im nächsten Schritt sollte sich die NRW-Landesregierung dafür einsetzen, dass die Regelungen für Fachpraktiker bundesweit einheitlich gelten. - Junge Menschen benötigen eine gute Berufsorientierung. Zu Beginn des letzten Jahres kritisierte die LAG FW den Qualitätsverlust des neuen Einstiegsinstruments (ehemals Potenzialanalyse) im KAoA-Programm („Kein Abschluss ohne Anschluss“). Für die meisten Förderschüler*innen gelten mittlerweile dieselben Rahmenbedingungen (Stundenzahl, Personalschlüssel und Vergütung), wie für Gymnasiast*innen. Die Berufsfelderkundung des Programms KAoA STAR, das sich explizit an Jugendliche mit (Schwer-)Behinderung oder sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf richtet, weist derzeit noch bessere Rahmenbedingungen auf. Dieser Rahmen muss erhalten und an Tarifsteigerungen und Inflation angepasst werden. Allerdings wurde die Zielgruppe im Jahr 2025 präzisiert, sodass einige Förderbedarfe nicht mehr unter das STAR-Programm fallen. Förderrechtlich kritisiert die LAG FW schon lange, dass Programme, die eine besonders benachteiligte Zielgruppe in den Blick nehmen, nach dem Vergaberecht ausgeschrieben werden. Niedrige Löhne bei lokal nicht verankerten gewinnorientierten Trägern, eine schlechtere Qualität durch häufige Personalfluktuation sowie ständige Wechsel der Träger infolge zum Teil jährlicher Ausschreibungen – und damit der Verlust von Erfahrungswissen – sind die Folge. Der Einsatz des Vergaberechts für soziale Dienstleistungen bzgl. der Unterstützungsmaßnahmen besonders benachteiligter Personen – und damit eine Ökonomisierung – sollte laut LAG FW nicht zulässig sein. Die in vielen Fällen bewährte Praxis der Vereinbarungen im Rahmen des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses muss beibehalten und ausgeweitet werden.
- Inklusionsbetriebe sind ein wichtiger Bestandteil des Sozialen Arbeitsmarktes und ermöglichen Menschen mit Behinderung eine langfristige Integration in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Sie bieten eine etwas geschütztere Arbeitsumgebung mit fachlicher Anleitung sowie häufig zusätzlichen Angeboten an sozialpädagogischer Begleitung. Der Bedarf an Arbeitsplätzen in Inklusionsbetrieben übersteigt derzeit das vorhandene Angebot, weshalb mehr solcher Betriebe benötigt werden. Dazu sollten behördliche Abläufe vereinfacht werden (z. B. lange Genehmigungs- oder Prüfungszeiten) und in öffentlichen Ausschreibungen sollte grundsätzlich der Einsatz von Inklusionsunternehmen bevorzugt berücksichtigt werden.
- Diese Angebote sind häufig auf öffentliche Fördermittel angewiesen, etwa für Investitionen. In diesem Zusammenhang muss die möglichst unbürokratische Beantragung einer Erhöhung des Beschäftigungssicherungszuschusses (äquivalent zu dem Niveau des Budgets für Arbeit) möglich sein, so dass bei Abnahme der Leistungsfähigkeit der Zielgruppenmitarbeiter*innen z.B. durch behinderungsbedingte Verschlechterung des Gesundheitszustandes keine finanzielle Gefährdung des Betriebes entsteht. Ziel ist es, eine langfristige finanzielle Stabilität zu gewährleistet, insbesondere, da Inklusionsbetriebe wie gewerbliche Betriebe am Markt agieren, ihr primäres Ziel jedoch nicht die Gewinnmaximierung, sondern die soziale und berufliche Teilhabe ist.
- Besonders wichtig ist der LAG FW die Idee eines Sozialen Arbeitsmarkts, der auch am Arbeitsmarkt besonders benachteiligten Menschen langfristig durch einen Lohnkostenzuschuss soziale Teilhabe durch Erwerbsarbeit in einem regulären Arbeitsverhältnis ermöglicht. Die FW begrüßt den im Zukunftsvertrag von CDU und Bündnis 90/Die Grünen festgeschriebenen Ausbaus eines Sozialen Arbeitsmarktes in NRW und unterstützt in diesem Sinne auch die Forderungen des vorliegenden Antrags der SPD:
Das mit dem Teilhabechancengesetz 2019 eingeführte und mittlerweile entfristete bundesweite Instrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ (§ 16i SGB II) hat inzwischen vielen am Arbeitsmarkt benachteiligten ehemals langzeitarbeitslosen Personen neue Möglichkeiten der sozialen Teilhabe durch Erwerbsarbeit eröffnet. Oft gelingt es, dass Menschen aus der geförderten Beschäftigung heraus eine Stelle ohne Lohnkostenzuschuss beim gleichen oder einem anderen Arbeitgeber finden. Doch leider ist auch Fakt, dass selbst nach fünf Jahren Förderung nach § 16i SGB II der Arbeitsmarkt nicht alle Geförderten ohne ergänzenden Lohnkostenzuschuss integriert. Das gilt auch für Menschen mit Behinderung, die nicht im System der Eingliederungshilfe nach SGB IX verortet sind. Auf Bundesebene und in NRW fehlt ein sinnvolles Anschlussinstrument. Die LAG FW schlägt konstruktiv vor, wie in NRW durch ein Modellprojekt die Grundlagen für ein neues gesetzliches Anschlussinstrument nach Auslaufen der Förderhöchstdauer von „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ (§ 16i SGB II) erprobt werden könnten. Unter Einbezug des Passiv-Aktiv-Transfers (PAT) soll verstärkt in Beschäftigung statt in Arbeitslosigkeit investiert werden. Eine entsprechende Förderhöhe von etwa 70 Prozent der Lohnkosten würden fast der Höhe der Rückflüsse (Steuern und Sozialabgaben) bzw. der Einsparungen der öffentlichen Hand entsprechen: Die verbleibenden 30 Prozent der Lohnkosten müssen die geförderten (gewerblichen, kommunalen, sozialen) Betriebe erwirtschaften.
Für die Zielgruppe der schwerbehinderten Menschen, die einen Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in einer Werkstatt für behinderte Menschen haben, gibt es das „Budget für Arbeit“ (§61 SGB IX). Über dieses Budget können unbefristet Lohnkostenzuschüsse von bis zu 75 Prozent für eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gewährt werden und damit die Anreize für Arbeitgeber*innen erhöhen, Menschen mit Schwerbehinderung einzustellen. Das „Budget für Arbeit“ ist darüber hinaus ein gutes Anschlussinstrument für Menschen mit Schwerbehinderung, die langezeitarbeitslos sind bzw. waren und über §16i SGB II an eine Arbeitsstelle herangeführt wurden. Rehabilitandinnen und Rehabilitanden können nach der maximalen Förderdauer von fünf Jahren gemäß §16i SGB II weiterhin über das „Budget für Arbeit“ Lohnkostenzuschüsse für eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erhalten.
Allerdings erfüllen eben nicht alle Menschen mit Behinderung die Voraussetzungen für den Zugang zu dem Instrument „Budget für Arbeit“. Für diese Personen fehlt häufig eine Anschlussperspektive. Eine Entkoppelung der Anspruchsberechtigung auf ein Budget für Arbeit vom Anspruch auf Leistungen im Arbeitsbereich einer WfbM wäre daher empfehlenswert. Das zuvor beschriebene Modellprojekt der Freien Wohlfahrtspflege will diese Lücke schließen.
Ein letzter Hinweis: In der Freien Wohlfahrtspflege sprechen wir bewusst nicht von einem ersten und zweiten Arbeitsmarkt. Wir benötigen gesamtgesellschaftlich vielmehr einen inklusiven Arbeitsmarkt für alle. In einem solchen Arbeitsmarkt werden Menschen mit und ohne Behinderung regulär beschäftigt. Zudem muss es die Möglichkeit geben, in begründeten Fällen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung durch Lohnkostenzuschüsse auch langfristig zu unterstützen, für Menschen mit Behinderung ebenso wie für Menschen in besonders schwierigen Lebenslagen im SGB II. Diese ultima ratio einer staatlich geförderten Beschäftigung mit anteiligen Zuschüssen zu den Lohnkosten ist ein notwendiger Bestandteil eines inklusiven, fairen und sozialen Arbeitsmarktes.