Sowohl die ausdrückliche Aufnahme der geschlechtlichen Identität in die Grundsätze der Vollzugs-gestaltung als auch die Formulierung in § 85 Abs. 2 StVollzG NRW („…weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig…“) erkennen die besondere Situation nicht-binärer Personen an.
Die Neuausrichtung bildet die Vielfalt von Geschlechtsidentitäten ab und löst sich auch sprachlich von einer strikt binären Einteilung. Auch wenn die Vollzugspraxis bisher auf Anstalten bzw. Abteilungen für Frauen oder Männer beschränkt ist, ist diese Formulierung wegweisend in Richtung Inklusion und Antidiskriminierung. Demgegenüber spricht der vorliegende Gesetzentwurf in § 87 StVollzG NRW noch ausschließlich von „Müttern“. Der Begriff „Mutter“ kann hier exkludierend wirken. Viele TIN-Eltern empfinden den Begriff „Mutter“ als nicht mit ihrer Geschlechtsidentität vereinbar. Im Rahmen der Menschenwürde und des Persönlichkeitsrechts (Art. 1 & 2 GG) möchten sie selbst bestimmen, ob sie als Mutter, Vater oder Elternteil bezeichnet werden. Aus unserer Sicht könnte eine weitere sprachliche Anpassung in einen neutralen Begriff wie „Elternteil“ (z. B. „Ist ein Kind, dessen Elternteil in einer Anstalt für Frauen untergebracht ist oder untergebracht werden soll…“) nützlich sein. Damit würde gewährleistet, dass alle sorgeberechtigten Inhaftierten – unabhängig von Geschlechtsidentität oder Personenstand – erfasst werden und ihnen zudem ein Zugang zu „Mutter-Kind-Abteilungen“ ermöglicht.
In der Vergangenheit wurden TIN-Personen oftmals nicht in die Unterbringungsentscheidungen einbezogen. Unterbringung darf nicht allein am Personenstand oder an äußeren Merkmalen ausgerichtet sein, sondern muss das individuelle Zugehörigkeitsempfinden einbeziehen. Der Gesetzentwurf ermöglicht – unter explizit genannten Abwägungskriterien - eine Berücksichtigung der Selbstzuschreibung. Um dem Bedürfnis der geschlechtlichen Selbstzuschreibung inhaftierter Personen bei einer Unterbringungsentscheidung noch mehr Gewicht zu geben, regen wir zusätzlich an, ein Regel-Ausnahme-Verhältnis gesetzlich zu verankern: In der Regel erfolgt die Unterbringung in Haft entsprechend der geäußerten Geschlechtsidentität bzw. des Wunsches der betroffenen Person. Von dieser Regel kann als Ausnahme nur bei Vorliegen gewichtiger Gründe wie z. B. akuten Sicherheitsbedenken oder organisatorischen Notwendigkeiten abgewichen werden. Wenngleich so zwar weiterhin konkrete Vorgaben zur Unterbringungsform für nicht-binäre Gefangene fehlen, würde dies zumindest sowohl der grundrechtlich geschützten Selbstbestimmung als auch den legitimen Sicherheitsinteressen der Anstalten gerecht werden.
Fazit
Der Gesetzentwurf schafft einen grundrechtssensiblen Rechtsrahmen für TIN-Inhaftierte und setzt wichtige Impulse für einen diskriminierungssensiblen Justizvollzug, den es bislang nicht gab. Um den verfassungsrechtlichen Ansprüchen und der Lebensrealität von TIN-Personen gerecht zu werden, wird es jedoch auf die konkrete(n) Umsetzung(smöglichkeiten) im Anstaltsalltag ankommen. Außerdem wird es für eine erfolgreiche Umsetzung des Gesetzes wesentlich sein, Justizvollzugsbeschäftigte mit geeigneten Handreichungen sowie kontinuierlichen Fortbildungsangeboten zu Fragen sexueller und geschlechtlicher Vielfalt zu unterstützen.