Dass dieses Thema zur Anhörung vor der Weiterbildungskonferenz NRW 2025 aufgegriffen wird, begrüßt die Freie Wohlfahrtspflege ausdrücklich. Einrichtungen der gemeinwohlorientierten Erwachsenen- und Familienbildung innerhalb der LAG FW NRW halten seit vielen Jahren eine Vielzahl niedrigschwelliger und zielgruppenspezifischer Grundbildungsangebote vor. Diese ermöglichen über freiwillige Zugänge vor Ort den unmittelbaren Kontakt zu Menschen mit Grundbildungsbedarf – in ihrem Alltag und innerhalb ihrer Lebenswelten.
Vermittelt werden dort insbesondere Kompetenzen in Erziehungsfragen, im familiären Miteinander, in der Alltags- und Haushaltsorganisation, der finanziellen Grundbildung sowie im sicheren Umgang mit Sprache, Schrift und digitalen Anforderungen.
Ein wachsendes Handlungsfeld ist dabei die Digitalisierung – insbesondere im Hinblick auf den Zugang zu sozialstaatlicher Infrastruktur und digitalisierten Verwaltungsprozessen. Der souveräne Umgang mit Anwendungen wie der elektronischen Patientenakte oder der digitalen Antragstellung wird zunehmend zur Voraussetzung gesellschaftlicher Teilhabe und selbstbestimmter Lebensführung.
Eine zentrale Herausforderung der kommenden Jahre wird daher sein, digitale Grundbildung flächendeckend auszubauen und verlässlich zu fördern – insbesondere für Menschen, die sich Teilnahmebeiträge nicht leisten können. Die LAG FW NRW setzt sich dafür ein, erfolgreiche Kooperationsstrukturen mit kommunalen Trägern und dem Land NRW weiterzuentwickeln und strukturell abzusichern.
Vor diesem Hintergrund nimmt die Freie Wohlfahrtspflege NRW gerne Stellung zu den im Rahmen der Anhörung formulierten Fragen.
1. Welche Handlungsfelder von Grundbildung halten Sie für besonders wichtig? Wie können bestehende gemeinwohlorientierte Weiterbildungseinrichtungen, Integrationskursträger, Beschäftigungsträger und Betriebe besser kooperieren, um Grundbildung als gesellschaftliche Querschnittsaufgabe zu etablieren? Gibt es erfolgreiche Modelle, die sich für NRW empfehlen?
Zentrale Handlungsfelder der Grundbildung liegen im Erwerb alltagspraktischer Kompetenzen – insbesondere im Umgang mit Behörden, der Gesundheitsversorgung sowie in organisationsbezogener Kommunikation, etwa mit Kita, Schule oder Arbeitsplatz. Ergänzend bedarf es einer strukturell verankerten Erziehungskompetenz durch Angebote der Familienbildung, einer stärkeren finanziellen Grundbildung und einer digitalen Teilhabeförderung, die nicht technikorientiert, sondern lebensweltlich gedacht ist.
Für eine nachhaltige Umsetzung ist die Kooperation bestehender Akteure zentral. Notwendig ist eine stärkere Verzahnung mit den sozialen Hilfesystemen der Freien Wohlfahrt, über Familienzentren, Beratungsstellen und weiteren Diensten der Integrationsinfrastruktur oder betreute Wohnformen. Kooperationsvereinbarungen mit Betrieben sowie arbeitsmarktbezogenen Trägern und ein integriertes Fallmanagement, das soziale Hilfen und Bildungsarbeit gemeinsam denkt, können zur Verstetigung beitragen. Erfolgreiche Modelle finden sich insbesondere in quartiersbezogenen Bildungssettings – etwa in Bürgerzentren, interkulturellen Begegnungsorten und weiteren Anlaufstellen vor Ort. Beispiele hierfür sind modularisierte Alphabetisierungskurse und Sprachtreffs in Stadtteilcafés und Schulgebäuden, die von Einrichtungen der Familien- oder Weiterbildung in Kooperation mit weiteren Akteuren durchgeführt werden. Auch Familiengrundschulzentren, die mit Familienbildungseinrichtungen kooperieren oder sich teils in Trägerschaft von Familienbildungseinrichtungen befinden, können beispielweise einen schulortnahen Zugang zu Familiengrundbildung gewährleisten.
Die Erfahrungen in NRW, beispielsweise in der Kooperation mit interkulturellen Begegnungsorten von Migrantenselbstorganisationen und anderen zivilgesellschaftlichen Vereinen, zeigen: Dort, wo vertraute Räume mit lebensweltlicher Relevanz geschaffen wurden, können auch Menschen erreicht werden, die über klassische Weiterbildungsangebote kaum zugänglich sind. Wo sich Lernprozesse an sozialer Eingebundenheit und Sprache orientieren, kann Grundbildung nicht losgelöst von Vertrauen und Beziehung gedacht werden.
2. Welche Ansätze zur Alphabetisierung und Grundbildung haben sich besonders bewährt und wie müssen Angebote gestaltet werden, um unterschiedliche Vorerfahrungen und Lernbiografien erfolgreich zu berücksichtigen bzw. welche konkreten Herausforderungen sehen Sie aktuell in der Grundbildung für Menschen mit Migrationsgeschichte und Menschen mit Behinderung?
Wirksame Ansätze basieren auf der Verbindung von Grundbildungsinhalten mit sozialpädagogischer Begleitung – etwa in Form integrierter Lernangebote in Arbeitsförderung oder Elternarbeit. Erfolgreich sind insbesondere Settings, die Mehrsprachigkeit nicht ausklammern, sondern als Ressource begreifen und in denen Lernen in kleinen Gruppen sowie mit stabilen sozialen Beziehungen stattfindet. Zentrale didaktische Leitlinie ist eine partizipative Gestaltung, bei der Teilnehmende als Expert*innen ihrer Lebenswelt eingebunden werden.
Die Angebotsgestaltung muss flexibel sein. Starre Curricula sind durch lebensweltlich anschlussfähige, inklusive Methoden zu ersetzen, die z. B. mit visuellen Materialien, leichter Sprache oder nonverbalen Zugängen arbeiten. Wichtig ist zudem der Einbezug von Schlüsselpersonen mit ähnlichem Erfahrungshintergrund – als Peers oder Mentor*innen. Herausfordernd sind insbesondere die komplexen Lebenslagen der Zielgruppen sowie der Mangel an barrierearmen Lernorten und interkulturell geschultem Fachpersonal.
3. Ältere Erwachsene sind häufig von funktionalem Analphabetismus betroffen. Wie können niedrigschwellige und akzeptanzfördernde Zugänge geschaffen werden, damit speziell ältere Menschen motiviert werden, Grundbildungsangebote wahr-zunehmen, und wie können Grundbildungsangebote besser auf ältere Menschen zugeschnitten werden?
Um ältere Erwachsene zu erreichen, braucht es niedrigschwellige Bildungsangebote in Lebensräumen, die bereits vertraut sind – etwa in Begegnungsstätten, Tagespflegeorten, Pflegeheimen oder Mehrgenerationenhäusern. Auch interkulturelle Begegnungsorte konnten hier beispielweise mit generationenübergreifenden Lese- oder Lerntreffs Anlaufstellen und Orte für und von Grundbildung sein. Kooperationen mit Quartiersprojekten oder Beratungsstellen sind dabei ebenso wichtig wie die Verknüpfung mit gesundheitsfördernden oder gemeinschaftsstiftenden Angeboten. Die Menschen sind an den Orten, an denen sie sich aufhalten aufzusuchen. Ebenso können die Zielgruppen in die Entwicklung von Formaten einbezogen werden. Wichtig ist auf die kostengünstige oder sogar kostenfreie Teilnahme zu achten.
Grundbildung für ältere Menschen muss entschleunigt und alltagsnah gestaltet sein. Inhalte wie das Ausfüllen von Patientenverfügungen oder das Verstehen von Beipackzetteln bieten reale Anknüpfungspunkte. Lernformate, die Raum für Wiederholung lassen, biografische Bezüge aufgreifen und ohne Leistungsdruck auskommen, stärken die Motivation. Eine Teilhabe über ehrenamtliches Engagement kann darüber hinaus einen niedrigschwelligen Einstieg eröffnen.
4. Welche innovativen Methoden und Technologien (z.B. digitale Lernplattformen, KI-gestützte Lernhilfen) sollten in NRW verstärkt genutzt werden, um verschiedene Zielgruppen in der Einwanderungsgesellschaft zu erreichen und dabei Bildungsbarrieren abzubauen und wie erreichen Ihre Einrichtungen Menschen, die bisher keine oder nur geringe Bildungsangebote wahrgenommen haben?
Digitale Bildungsinstrumente können neue Wege der Ansprache eröffnen – insbesondere durch barrierearme, mobile Angebote, audiovisuelle Formate oder KI-gestützte Tools, die individuelle Lernverläufe berücksichtigen. Hier braucht es sowohl digitale Lernformen mit persönlicher Begleitung und sozialpädagogischer Einbettung als auch anonyme digitale Bildungsräume.
Zugangshürden lassen sich über den gezielten Einsatz von Vertrauensräumen ab-bauen – etwa durch Bildungsangebote in Beratungsstellen oder Nachbarschaftstreffs. Die Nutzung von Multiplikator*innen aus der Zielgruppe sowie die Einbindung in bereits bestehende Gruppenformate (z. B. in Frauenprojekten oder Familienbildung) erhöht die Reichweite. Freiwilligendienste und ehrenamtlich engagierte Personen können als Türöffner fungieren. Bei dem Einsatz von digitalen Bildungsinstrumenten ist zu berücksichtigen, dass viele einkommensarme Personen nicht über die Grundausstattung der Hard- und Software und/oder über digitale Kompetenzen verfügen. Von daher ist da-rauf zu achten, dass die Angebote immer auf die vorhandenen digitalen zur Verfügung stehenden Laptops oder Smartphones abgestimmt sind oder eine Anschaffung von neueren Geräten erfolgen kann.
5. Welche Rahmenbedingungen sind notwendig, um Grundbildungsangebote dauerhaft zu sichern, weiterzuentwickeln und für die Diversität sowie das Altersspektrum der Einwanderungsgesellschaft NRW bedarfsgerecht auszubauen?
Eine starke Herausforderung für bestehende und erfolgreiche Netzwerke und Strukturen von Grundbildungsangeboten ist die defizitäre Ausstattung dieses Arbeitsfeldes im Landeshaushalt. Um Grundbildungsstrukturen dauerhaft zu sichern, bedarf es einer verlässlichen, nicht projektgebundenen und auskömmlichen Finanzierung der Bildungseinrichtungen und entsprechenden Angebote. Dabei müssen auch die digitale Ausstattung und die kontinuierliche Qualifizierung des Personals der Einrichtungen be-rücksichtigt sein.
Barrierearme sowie geschlechtergerechte Zugänge, wie beispielsweise durch begleitende Maßnahmen für Kinder in Integrations- oder Alphabetisierungskursen, müssen ebenfalls verstärkt in den Blick genommen werden. Nur so können Grundbildungsangebote dauerhaft niedrigschwellig und lebensweltorientiert erreichbar bleiben.
Die Freie Wohlfahrtspflege NRW hat durch ihre Tätigkeitsfelder einen direkten Zugang zu Menschen in unterschiedlichsten Lebenslagen, der passgenaue Wege zu Grundbildungsangeboten ermöglicht. Durch eine kontinuierliche Stärkung der Finanzierung von quartiersbezogener Grundbildungsarbeit könnten solche Zugänge noch besser genutzt und ausgebaut werden. Ein Ausbau von diversitäts- und alterssensiblen Angebotsformen ist insbesondere in enger Kooperation mit anderen Einrichtungen beispielsweise der frühkindlichen Bildung, Sozialarbeit und Beratung möglich, die dafür mit entsprechenden Ressourcen und Knowhow ausgestattet werden müssen.
6. Welche Anreizstrukturen könnten dazu beitragen, dass mehr Menschen mit Grundbildungsbedarf freiwillig und dauerhaft an Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen?
Anreize für die freiwillige und dauerhafte Teilnahme an Grundbildungsangeboten müssen vielschichtig sein. Eine stärkere gesellschaftliche Anerkennung nicht-formaler Bildungsleistungen – etwa in der Pflege Angehöriger oder im familiären Kontext – kann motivierend wirken. Zentrale Bedeutung haben zudem soziale Faktoren: Die Zugehörigkeit zu einer stabilen Lerngruppe, das gemeinsame Lernen in Alltagskontexten und das Einbinden von Peer-Erfahrungen fördern nachhaltige Bildungsbiografien. Dies ge-lingt insbesondere an Orten, an denen bereits Vertrauen und Beziehung aufgebaut wer-den konnte.
Praktische Anreize wie begleitende Angebote für Kinder, kostenfreie oder vergünstigte Teilnahme, Fahrkostenzuschüsse sowie wohnortnahe Bildungsberatung erleichtern die Teilnahme zusätzlich. Um Grundbildungsangebote wie beispielsweise Alphabetisierungskurse zu entstigmatisieren, braucht es öffentlichkeitswirksame Mutmach-Kampagnen sowie den gezielten Einsatz vertrauenswürdiger Ansprechpartner*innen im sozialen Nahraum.