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Stellungnahme zur schriftlichen Anhörung des Ausschusses für Familie, Kinder und Jugend zum Antrag der Fraktion der FDP Personaloffensive „Kita-Zukunft NRW – Fachkräfte verbinden Ost und West"

Die Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege des Landes Nordrhein-Westfalen (LAG FW NRW) bedankt sich für die Möglichkeit, zum Antrag „Kita-Zukunft NRW – Fachkräfte verbinden Ost und West“ schriftlich Stellung zu nehmen.

Dass die Personalsituation der Tageseinrichtungen für Kinder sowie weitere Möglichkeiten der Fachkräfterekrutierung im Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend über diesen Antrag thematisiert werden, begrüßt die Freie Wohlfahrtspflege ausdrücklich. Die nach wie vor angespannte Lage in den Einrichtungen vor Ort macht ein Handeln auf vielen Ebenen und die Diskussion von verschiedenen Strategien erforderlich.

Die bundesländerübergreifende Perspektive des Antrags und die strategische Betrachtung der Verteilung von Fachkräften nach Angebot und Nachfrage nimmt die Freie Wohlfahrtspflege als interessanten Impuls wahr. Eine solche koordinierte Herangehensweise könnte einen Beitrag leisten, um bestehende Ungleichgewichte zwischen den Regionen zu verringern und Synergien in der Fachkräftegewinnung zu nutzen. Zugleich ist jedoch die Frage der Effizienz der vorgeschlagenen Maßnahmen zu stellen, insbesondere mit Blick auf die finanzielle Ausstattung in Zeiten eines eingeschränkten Landeshaushalts.

So wird die praxisintegrierte Ausbildung zur Kinderpflege (PiA K) und zur*zum Erzieher*in (PiA E) derzeit nicht in vollem Umfang refinanziert – mit Auswirkungen auf die Möglichkeiten von Kita-Trägern, Auszubildende einzustellen. Ausbildungsträger berichten bezirksübergreifend, dass sich infolge der begrenzten Mittel viele Träger gezwungen sehen, zwischen Auszubildenden zur Erzieher*in und zur praxisintegrierten Kinderpfleger*in zu wählen. Da die Anstellung von Auszubildenden zur Erzieher*in oftmals Vorrang erhält, gehen die Ausbildungszahlen in der praxisintegrierten Kinderpflege teils zurück.

Dass künftig freie Ausbildungsplätze in Nordrhein-Westfalen auch durch Auszubildende aus anderen Bundesländern besetzt werden können, wird vor dem Hintergrund des Aufwands eines solchen Anwerbe- und Zuzugverfahrens in Relation zur Ausbildungsvergütung als unrealistisch eingeschätzt. Die Anwerbung von Studienabrecher*innen aus NRW für freie Ausbildungsplätze wertet die Freie Wohlfahrtspflege NRW als sinnvolle Maßnahme.

Darüber hinaus ist ein Blick auf die Heterogenität der Personalverordnungen in den einzelnen Bundesländern zu werfen. Bei der Umsetzung eines länderübergreifenden Fachkräfteprogramms ist sicherzustellen, dass diese Unterschiede angemessen berücksichtigt werden. Dies betrifft insbesondere die Anerkennung von Qualifikationen, die Ausbildungsstandards sowie die jeweiligen Betreuungsschlüssel. Eine fehlende Abstimmung auf dieser Ebene birgt die Gefahr, dass Fachkräfte nicht im vorgesehenen Umfang eingesetzt werden können oder im Nachhinein zusätzliche bürokratische Hürden entstehen.

Die TeKit-Pilotstudie (Weimann-Sandig 2024) zeigt, dass die regionale Mobilität pädagogischer Fachkräfte insgesamt sehr gering ist. Über 80 % der befragten Erzieher*innen schließen einen Wegzug in eine andere Region aus. Selbst innerhalb des eigenen Bundeslands sind Kita-Wechsel eher selten. Damit spricht die empirische Evidenz gegen die Annahme, dass sich der Fachkräftebedarf in westdeutschen Bundesländern kurzfristig durch innerdeutsche Mobilität ausgleichen lässt. Programme zur „Verbindung von Ost und West“ müssen daher realistisch einschätzen, dass tatsächliche räumliche Wechsel die Ausnahme bleiben und nur mit erheblichen Unterstützungsleistungen (Wohnkosten, soziale Integration, Jobs für Lebensgefährt*innen) gelingen können.

Zugleich belegt die Studie moderate regionale Unterschiede in Arbeitsbedingungen und Änderungsabsichten: Beschäftigte in Westdeutschland wünschen sich häufiger Arbeitszeitreduzierungen, während in ostdeutschen Regionen längere Arbeitszeiten und mehr Überstunden verbreitet sind. Diese Unterschiede deuten auf unterschiedliche strukturelle Herausforderungen hin, die bei einer länderübergreifenden Fachkräfteoffensive berücksichtigt werden müssen.

Um die Zielsetzungen des Antrags realistisch bewerten zu können, ist eine detaillierte Analyse der möglichen Zielgruppen sowie der damit verbundenen sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erforderlich. Dabei sollte unter anderem geprüft werden, welche Faktoren für potenzielle Fachkräfte bei einem Wechsel nach Nordrhein-Westfalen von Bedeutung sind. Insbesondere die Angemessenheit der Vergütung im Verhältnis zu den regionalen Wohn- und Lebenshaltungskosten (der Median-Mietpreis für Wohnungen z.B. in Köln (stellvertretend für ein typisches Ballungszentrum mit hohem Bedarf) lag im Jahr 2025 bei 16,81 €/m². Auch andere Städte in NRW weisen hohe Mietniveaus auf.), Unterstützungsangebote beim beruflichen Einstieg und bei der sozialen Integration sowie Hilfen beim Familiennachzug. Nur wenn diese Aspekte berücksichtigt werden, kann eine nachhaltige und erfolgreiche Fachkräftegewinnung und -eingliederung gelingen.

Dennoch ist auch die Prämisse der „drohenden Kündigung"“ im Osten irreführend, da die dortige Demografie nicht zu Massenentlassungen, sondern zur Steuerung über die massive Verrentungswelle führt (in Thüringen sind z.B. 22% der Fachkräfte älter als 54). Für die Mehrheit der Fachkräfte, die nicht von Arbeitslosigkeit bedroht ist, bliebe die ökonomische Hürde der hohen NRW-Lebenshaltungskosten daher ein entscheidendes Gegenargument zur Abwanderung. Darüber existiert auch in NRW ein starkes regionales Gefälle zwischen ländlichen Regionen mit teilweise freien Ausbildungskapazitäten und urbanen Bedarfszentren mit akutem Mangel. Es wäre effizienter und nachhaltiger, Fachkräfte oder Auszubildende, die bereits in strukturschwachen Regionen Nordrhein-Westfalens leben, bei einem Umzug in die Ballungszentren zu unterstützen, als einen ineffizienten und ökonomisch fragwürdigen Zuzug von außen zu subventionieren.

Vor diesem Hintergrund ist zu betonen, dass laut TeKit-Studie nicht allein finanzielle Anreize, sondern vor allem stabile Arbeitsbedingungen, verlässliche Dienstpläne und berufliche Entwicklungsperspektiven entscheidend für die Bleibe- und Wechselmotivation sind. Maßnahmen, die auf reine Mobilitätsförderung setzen, ohne diese strukturellen Faktoren zu adressieren, dürften daher nur begrenzte Wirkung entfalten.

Eine Kosten-Nutzen-Analyse könnte helfen, die geplanten Ausgaben für Zuschüsse, Werbe- und Anwerbemaßnahmen, die Ansprache von Studienabbrecher*innen sowie koordinative Tätigkeiten in Relation zum zu erwartenden Nutzen zu setzen.

Vor diesem Hintergrund spricht sich die Freie Wohlfahrtspflege NRW dafür aus, die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel im Landeshaushalt vorrangig in die nachhaltige Refinanzierung der bestehenden Ausbildungsstrukturen in Nordrhein-Westfalen zu investieren. Des Weiteren wird die Anpassung der Personalverordnung als wirksames Instrument gesehen, dem Personalmangel in NRW deutlich abzumildern. Programme zur Fachkräfteanwerbung, wie sie im vorliegenden Antrag vorgeschlagen werden, sind notwendige Impulse, sollten allerdings als ergänzende Maßnahmen verstanden werden.

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