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Wider die Monetarisierung des Bürgerschaftlichen Engagements

Freiwilliges soziales Engagement ist von hohem Wert für den Aufbau und die Weiterentwicklung einer demokratischen Gesellschaft, da Bürgerinnen und Bürger eigenverantwortlich und freiwillig für das Gemeinwesen und die soziale Arbeit aktiv werden. Bürgerschaftliches Engagement hat viele Ausprägungen. Einige davon, insbesondere die Freiwilligendienste, sind dabei auch mit einer (geringen) Bezahlung verbunden. Zu berücksichtigen ist, dass es in den unterschiedlichen Organisationen in der Regel historisch gewachsene Unterschiede in der Verwendung von Bezeichnungen gibt. Grundlegend müssen daher Definitionen vorgenommen werden, um Unklarheiten im weiteren Verlauf und in der öffentlichen Diskussion zu vermeiden.

Definitionen

Bürgerschaftliches Engagement

Bürgerschaftliches Engagement ist als ein freiwilliges, gemeinwohlorientiertes und nicht auf materiellen Gewinn ausgerichtetes Engagement zu verstehen, so wie es im Einsetzungsbeschluss festgelegt wurde. Nach Auffassung der Verfasser schließt diese Definition die ganze Breite der verschiedenen Erscheinungsformen des Engagements ein: das klassische Ehrenamt, gemeinnütziges Engagement ohne Amt, kurzzeitiges ungebundenes Engagement sowie bestimmte Formen der Selbsthilfe. Diese Definition schließt gleichzeitig eine unterschiedliche Zuordnung von Wertigkeiten des bürgerschaftlichen Engagements aus. (Bericht der Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ 2002, S.333)

Formen des Bürgerschaftlichen Engagements:

  • Freiwilliges Engagement

„Als freiwilliges Engagement werden im Freiwilligensurvey Tätigkeiten erfasst, die freiwillig und gemeinschaftsbezogen ausgeübt werden, im öffentlichen Raum stattfinden und nicht auf materiellen Gewinn ausgerichtet sind.“ (Freiwilliges Engagement in Deutschland - Zentrale Ergebnisse des Fünften Deutschen Freiwilligensurveys, 2019) „In der Regel bezeichnet der Begriff eine freiwillig gewählte und ohne Entlohnung geleistete Arbeit im gemeinnützigen Bereich. Freiwilliges Engagement (…) wird informell als individuelle Hilfe und Nachbarschaftshilfe oder institutionalisiert im Rahmen von Organisationen und In- stitutionen geleistet.“ (Stiftung Mitarbeit unter https://www.buergergesellschaft.de/)

  • Ehrenamt
    „Im Ergebnis versteht die Engagementstrategie das Ehrenamt als eine besondere Form des bürgerschaftlichen Engagements, das meist stärker formalisiert, verbindlich und andauernd ausgeübt wird. Oft bildet eine Wahlfunktion die Grundlage. Ehrenamtliches Engagement voll- zieht sich in Vereinen, Verbänden sowie in politischen und religiösen Gremien (…).“ (Engagementstrategie für das Land NRW, S.21/22)
     
  • Freiwilligendienst
    „Freiwilligendienste (sind) eine besondere Form des bürgerschaftlichen Engagements. Sie garantieren aufgrund einer freiwilligen Selbstverpflichtung, dass Freiwillige sich für eine festgelegte Zeit verlässlich und zeitlich intensiv engagieren. Durch die spezifische Kombination praktischer Tätigkeiten und begleitender Bildungsarbeit sind sie Bildungs- und Orientierungsjahr und gleichzeitig ein Lerndienst für die Bürgergesellschaft.“ (Bürgerschaftliches Engagement als Aufgabe der Freien Wohlfahrtspflege, BAGFW 2013)

    „Ein Freiwilligendienst ist ein freiwilliger Einsatz einer Person in einer gemeinwohlorientieten Einrichtung in einem zeitlich festgelegten Rahmen zwischen einigen Wochen und einem ganzen Jahr oder mehr. In der Regel wird dieser Einsatz ganztägig geleistet und bei längeren Freiwilligendiensten durch Taschengeld, Unterkunft, Verpflegung und Versicherung abgesichert.“ (Stiftung Mitarbeit – www.buergergesellschaft.de)

     

  • Selbsthilfe 
    "Selbsthilfegruppen sind freiwillige, meist lose Zusammenschlüsse von Menschen, deren Aktivitäten sich auf die gemeinsame Bewältigung von Krankheiten, psychischen oder sozialen Problemen richten, von denen sie – entweder selber oder als Angehörige – betroffen sind. Sie wollen mit ihrer Arbeit keinen Gewinn erwirtschaften. Ihr Ziel ist eine Veränderung ihrer persönlichen Lebensumstände und häufig auch ein Hineinwirken in ihr soziales und politisches Umfeld.“ (Fachverband Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e.V. (DAG SHG))

Abgrenzung zu steuerrechtlichen Begriffen

Klar abzugrenzen von ehrenamtlich und freiwillig Engagierten sind nebenberuflich Beschäftigte mit besonderen steuerlichen Begünstigungen, die sich unter den steuerrechtlichen Begriffen „Ehrenamtspauschale“ und „Übungsleiterpauschale“ etabliert haben. Entsprechend der oben aufgeführten Definitionen handelt es sich bei der Zahlung einer Ehrenamtspauschale nur dann um ehrenamtliches bzw. freiwilliges Engagement, wenn der Betrag die Summe der tatsächlich entstandenen Auslagen nicht überschreitet. Übungsleiterpauschalen dienen hingegen der steuerbegünstigten Entlohnung von Ausbildern, Kursleitern, Trainern etc. und stehen somit nicht im Kontext von ehrenamtlichem bzw. freiwilligem Engagement. 

Viele soziale Einrichtungen sind nicht zuletzt aufgrund des Fachkräftemangels auf nebenberuflich Tätige mit besonderen steuerlichen Begünstigungen sowie auf Freiwilligendienstleistende angewiesen. Hier besteht die Gefahr einer Verschiebung und Verwischung der Grenzen zwischen unbezahltem, ehrenamtlichem und freiwilligem Engagement und nebenberuflichen Beschäftigungen bzw. Freiwilligendiensten. Insbesondere durch die Verwendung des Begriffs der Ehrenamtspauschale ist eine Abgrenzung oftmals schwierig. Dies hat in der Praxis negative Auswirkungen wie z.B.:

  • Die Setzung von falschen Anreizen und Erwartungen bei den freiwillig Engagierten und eine subtile Torpedierung des Eigensinns und der Unabhängigkeit von Engagement

  • Gefahr der Instrumentalisierung des Ehrenamts als Lückenbüßer 

  • Abwertung von unentgeltlichem ehrenamtlichem und freiwilligem Engagement

  • Erschwerte Abgrenzung und ungerechte Zahlungsmodalitäten zwischen den hauptamtlich Beschäftigten und den vermeintlich ehrenamtlich und freiwillig Engagierten. 

  • Gefahr der Unterminierung des Mindestlohns durch die Zahlung von Übungsleiterpauschalen für die geleistete Arbeit

Positionierung der Freien Wohlfahrtspflege NRW

Unter dem Motto „Kein Geld für Zeit“ tritt die Freie Wohlfahrtspflege NRW ein als Garant für die Beibehaltung der eigenständigen Qualitäten des ehrenamtlichen und freiwilligen sozialen Engagements. Sie spricht sich daher gegen Bestrebungen der Instrumentalisierung und staatlichen Steuerung des ehrenamtlichen und freiwilligen sozialen Engagements in der Daseinsvorsorge aus. Wir wenden uns gegen jegliche Bestrebungen, schlecht bezahlte Arbeit als Ehrenamt zu bezeichnen und auf diesem Weg die Mindestlohnregelungen zu umgehen. Ehrenamt und freiwilliges Engagement sind und bleiben unentgeltlich! 

Dies widerspricht keineswegs dem Prinzip der Kostenerstattung. Im ehrenamtlichen und freiwilligen Engagement sollen grundsätzlich die entstandenen Kosten erstattet werden. Hierzu gehören z. B. Sach- und Fahrtkosten. Der Klarheit wegen sollte man hier von Kosten- oder Auslagenerstattung sprechen. Eine solche Kostenerstattung kann durchaus als Pauschale gezahlt werden, wenn jederzeit nachvollziehbar ist, dass es sich um tatsächlich entstanden Aufwand handelt und nicht um eine Vergütung der aufgewandten Zeit.

Nach unserem Verständnis haben Ehrenamt und freiwilliges soziales Engagement einen eigenen Stellenwert in der sozialen Arbeit und übernehmen wichtige Aufgaben. Ehrenamtliche und freiwillig Engagierte haben ein eigenes Profil, sie sind kein Ersatz für Fachkräfte. Als ehrenamtliche Vorstände in Vereinen und örtlichen Strukturen der freien Wohlfahrtspflege sind sie zudem unverzichtbarer Bestandteil der sozialen Infrastruktur. 

Wir treten ein für eine klare und eindeutige Verwendung der Begriffe Ehrenamt/Freiwilliges Engagement/Bürgerschaftliches Engagement, um einerseits die Besonderheit und Qualität dieses Engagements herauszustellen und andererseits nicht in den Verdacht zu geraten, untertarifliche abhängige Beschäftigung mit dem Titel Ehrenamt/Freiwilliges Engagement/Bürgerschaftliches Engagement zu etikettieren. Nebenberufliche Beschäftigungen mit besonderen steuerlichen Begünstigungen und weitere Formen des bezahlten Bürgerschaftlichen Engagements (z.B. Schöffen, rechtliche Betreuung) sollen damit keineswegs geschmälert oder abgewertet werden. Es soll aber deutlich gemacht werden, dass ihnen eine andere Begründung und andere Rahmenbedingungen zugrunde liegen.

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