Immer mehr Menschen in Nordrhein-Westfalen haben einen Job ohne Perspektive, zu wenig Einkommen und eine mangelhafte soziale Absicherung. 762.000 Erwerbstätige sind inzwischen von Armut bedroht, weil sie weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Bevölkerung verdienen. Derzeit sind das unter 1.035 Euro im Monat. Vor zehn Jahren waren es noch 568.000 Erwerbstätige.
„Wir brauchen neue Strategien zur Überwindung von Armut“, fordert der Vorsitzende der Freien Wohlfahrtspflege NRW, Christian Heine-Göttelmann, angesichts der Zahlen aus dem aktuellen Arbeitslosenreport. „Menschen dürfen im Jobcenter nicht länger zu einer möglichst raschen Arbeitsaufnahme in einen schlecht bezahlten Job gedrängt werden“, so Heine-Göttelmann. „Gefordert sind vielmehr individuelle Begleitung und längerfristige Qualifizierungsangebote, die arbeitslosen Menschen tatsächlich einen Ausstieg aus prekärer Beschäftigung im Niedriglohnsektor und einen Einstieg in besser bezahlte Jobs ermöglichen.“
Besonders erschreckend ist nach Ansicht der Freien Wohlfahrtspflege NRW, dass 17 Prozent der Vollzeitbeschäftigten (knapp 772.000 Menschen) im einwohnerstärksten Bundesland nur einen Niedriglohn erhalten. Unter den Frauen ist davon sogar jede vierte betroffen. „Besonders kritisch wird es, wenn Frauen Kinder haben“, sagt Christian Heine-Göttelmann.
„Kinderarmut hat ihre Ursache in Elternarmut, ganz besonders in der Armut alleinerziehender Frauen. Damit ihnen der Ausstieg aus schlecht entlohnter Beschäftigung gelingt, brauchen sie gezielte Beratung und neue Möglichkeiten der berufsbegleitenden Weiterqualifizierung.“ Zudem müssten Kinderbetreuungsangebote so ausgebaut werden, dass sie den besonderen Bedürfnissen berufstätiger Eltern gerecht würden.
Bei Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft und ohne Berufsabschluss liegt der Anteil der Niedriglohnbeschäftigen mit jeweils knapp 39 Prozent sogar mehr als doppelt so hoch wie bei der Gesamtheit der Beschäftigten. „Diese erschreckenden Zahlen spiegeln Verfehlungen in der Arbeitsmarktpolitik, aber auch in der Integrationspolitik der letzten Jahrzehnte wider“, kritisiert der Vorsitzende. Gerade un- und angelernte Arbeitskräfte benötigten viel mehr Angebote zur beruflichen Weiterbildung.
Bei über 30.000 Menschen, die in Nordrhein-Westfalen in Vollzeitjobs arbeiten, ist das Einkommen sogar so niedrig, dass es nicht einmal zur Sicherung des Existenzminimums reicht. Sie sind als sogenannte „Aufstocker“ auf ergänzende, steuerfinanzierte Hartz-IV-Leistungen angewiesen. Hinzu kommen weitere rund 85.000 „Aufstocker“, die in Teilzeit arbeiten. Die größte Gruppe unter ihnen sind knapp 104.000 Minijobber, die nicht mehr als 450 Euro im Monat verdienen. Sie verfügen meist nur über eine mangelhafte soziale Absicherung.
„Es ist ein Skandal, dass so viele Menschen auf ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt für sich oder ihre Familien angewiesen sind“, betont Heine-Göttelmann. „Hier betreiben Unternehmen Niedriglohnpolitik auf dem Rücken ihrer Beschäftigten und zudem auf Kosten der Allgemeinheit, konkret des Steuerzahlers. Da muss der Staat unbedingt gegensteuern.“
Hintergrund:
Die Wohlfahrtsverbände in NRW veröffentlichen mehrmals jährlich den „Arbeitslosenreport NRW“. Basis sind Daten der offiziellen Arbeitsmarktstatistik der Bundesagentur für Arbeit sowie Daten des Statistischen Bundesamts. Hinzu kommen Kennzahlen zu Unterbeschäftigung, Langzeitarbeitslosigkeit und zur Zahl der Personen in Bedarfsgemeinschaften, um längerfristige Entwicklungen sichtbar zu machen. Der Arbeitslosenreport NRW sowie übersichtliche Datenblätter mit regionalen Zahlen können im Internet unter <link http: www.arbeitslosenreport-nrw.de>www.arbeitslosenreport-nrw.de heruntergeladen werden. Der Arbeitslosenreport NRW ist ein Kooperationsprojekt der Freien Wohlfahrtspflege NRW mit dem Institut für Sozialpolitik und Arbeitsmarktforschung (ISAM) der Hochschule Koblenz.