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Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege des Landes Nordrhein-Westfalen e. V. | Detail

„Ein Fall Britney würde in Deutschland anders geregelt“

Eine bedarfsgerechte finanzielle Ausstattung der anerkannten Betreuungsvereine hat die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege NRW (LAG FW) gefordert. „Wir sind gespannt auf ein Ausführungsgesetz, das das Land Nordrhein-Westfalen nach der Reform des Betreuungsrechts beschließen muss“, sagte LAG-Vorstandsmitglied Christian Woltering am Freitag auf dem Fachtag Betreuungsrecht in Köln. Rund 120 Experten informierten sich dort über die Auswirkungen der Reform des Betreuungsrechts.

Millionen Menschen haben den Kampf von Weltstar Britney Spears gegen die Vormundschaft durch ihren Vater verfolgt. 13 Jahre lang musste sie hinnehmen, dass ihr Vater als Vormund alle wichtigen Entscheidungen an ihrer Stelle traf und ihre Millionen verwaltete. Sie bekomme nur ein Taschengeld, dürfe nicht heiraten, müsse Medikamente nehmen, nach denen es ihr schlecht gehe, so die Vorwürfe von Britney Spears gegen ihre Familie. Erst in diesem Jahr entschied ein Gericht zu ihren Gunsten. Ob ein Fall Britney auch in Deutschland möglich wäre, fragten sich viele Menschen hierzulande.

„Ein Fall Britney würde in Deutschland anders geregelt“, betonte LAG-Vorstandsmitglied Christian Woltering beim Fachtag Betreuungsrecht in Köln. In Deutschland ist das Vormundschafts- und Betreuungsrecht gerade reformiert worden. „Hier steht jetzt die Selbstbestimmung des Menschen mehr im Mittelpunkt und soll auf allen Ebenen gestärkt werden“, betonte Woltering. Mit diesem neuen Recht sollten die Vorgaben der UN Behindertenrechts-Konvention von 2009 umgesetzt werden, so Woltering.

Der deutsche Gesetzgeber sei bei der Reform des Betreuungsrechts weiterhin von der grundsätzlichen Vorstellung ausgegangen, dass die Betreuung im Wesentlichen aus der Mitte der Zivilgesellschaft geleistet werden soll. Die ehrenamtliche Führung einer Betreuung gehe daher von Gesetzes wegen der hauptamtlich geführten Betreuung vor. „Die Wohlfahrtsverbände unterstützen diesen richtigen Ansatz mit ihren Betreuungsvereinen, die Hauptamtliche und Ehrenamtliche gleichermaßen einsetzen und fördern“, so Woltering.
Die Betreuungsvereine führen rechtliche Betreuungen, sie „leisten darüber hinaus aber auch wichtige Querschnittsarbeit, denn sie gewinnen ehrenamtlich Betreuende, unterstützen und qualifizieren sie sowie beraten zu allen Formen rechtlicher Unterstützung“, betonte Woltering.

Betreuungsvereine müssten zukünftig auch planmäßig über Patientenverfügungen informieren und Bevollmächtigte bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben beraten und unterstützen. Des Weiteren beraten die Vereine zukünftig Betroffene, Angehörige und sonstige Personen zu allgemeinen betreuungsrechtlichen Fragen, zu Vorsorgevollmachten und über andere Hilfen, bei denen vom Gericht kein Betreuer bestellt wird. „Die neuen Pflichtaufgaben nach der Reform des Betreuungsrechts müssen in der zukünftigen Vergütung abgebildet werden“ forderte Woltering.

„Hierfür benötigen die Vereine zwingend eine auskömmliche Finanzierungsgrundlage, da ansonsten das gesetzgeberische Ziel nicht zu erreichen ist“, so Woltering. Menschen, die zivilgesellschaftliche Verantwortung für andere übernehmen, hätten durch das neue Gesetz ein Recht auf Unterstützung ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit.

Hintergrund:
In Deutschland ist im Mai diesen Jahres ein neues Betreuungs- und Vormundschaftsrecht beschlossen worden. Es tritt 2023 in Kraft und ist die grundlegende Reform seit 1992. Hier gilt: Rechtliche Betreuung unterstützt die Menschen nur dann, wenn sie zum Schutz der Person erforderlich ist. Maßstab für das Betreuerhandeln sind die Wünsche der Betreuten. Künftig sollen Betreuungen, die gegen den Willen der betreuten Person eingerichtet werden, spätestens nach zwei Jahren überprüft werden. Betreuer und Betreute sollen sich vorher kennenlernen. Beschwerdestellen sollen eingerichtet werden. Und Sterilisationen gegen den natürlichen Willen von Frauen mit Behinderung sind künftig ausgeschlossen.

In Nordrhein-Westfalen werden zurzeit

  • 12.580 ehrenamtliche Betreuer*innen die
  • 14.079 Menschen rechtlich betreuen, durch
  • 163 Betreuungsvereine begleitet.
  • Hierfür wird durch das Ministerium für Arbeit und Soziales ein Haushaltstitel von 5,5 Millionen Euro bereitgestellt und als Projektförderung an die Vereine ausgeschüttet.

 

In der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege NRW haben sich 16 Spitzenverbände in sechs Verbandsgruppen zusammengeschlossen. Mit ihren Einrichtungen und Diensten bieten sie eine flächendeckende Infrastruktur der Unterstützung für alle, vor allem aber für benachteiligte und hilfebedürftige Menschen an. Ziel der Arbeit der Freien Wohlfahrtspflege NRW ist die Weiterentwicklung der sozialen Arbeit in Nordrhein-Westfalen und die Sicherung bestehender Angebote. Die Freie Wohlfahrtspflege NRW weist auf soziale Missstände hin, initiiert neue soziale Dienste und wirkt an der Sozialgesetzgebung mit.