Pflege, Kinderarmut, Alterssicherung – das sind die zentralen Fragen, um die sich die Bürger in Deutschland Sorgen machen. Auf Platz vier dieser Liste steht inzwischen das Thema Wohnen. Leerstand, Luxussanierung mit anschließender Mieterhöhung, Angst vor Wohnungsverlust – das betrifft fast alle sozialen Schichten. Doch für Arme ist das Thema die Existenzfrage schlechthin. Was sie von der Politik, aber auch von den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege erwarten, stand daher im Mittelpunkt der Diskussionen beim ersten Treffen von Menschen mit Armutserfahrung in NRW am 17. Juli in Köln.
Der etwas sperrige Begriff „Menschen mit Armutserfahrung“ geht zurück auf europäische Initiativen, die seit den 1980er Jahren Maßnahmen der Sozialberichterstattung und der Armutsbekämpfung zum Inhalt haben. Als deutsche Sektion des Europäischen Armutsnetzwerks wurde 1991 die Nationale Armutskonferenz gegründet. Etliche Bundesländer haben Landes-Armutskonferenzen, Nordrhein-Westfalen allerdings nicht. Die Armutskonferenzen legen Wert auf die Selbstorganisation von Betroffenen und die politische Teilhabe der Menschen, die in Armut leben.
Die eigenen Erfahrungen und Lebensgeschichten in das Gespräch mit Politikern einzubringen, dafür plädierte Frank Johannes Hensel, Direktor des Diözesan-Caritasverbandes Köln und Vorsitzender des Arbeitsausschusses Armut und Sozialberichterstattung der Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege NRW. Er ermutigte die rund 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Armutstreffens, selbst als Lobbyisten in eigener Sache aktiv zu sein. Hensel wies zugleich darauf hin, dass man gegen die Wohnungsnot nicht nur anbauen könne. Es müssten auch neue Wohnformen gefunden und der tatsächlich praktizierte Umgang mit Wohnraum überprüft werden.
„Menschen, die mal wohnungslos waren, haben etwas zu sagen. Das soll nicht ungehört an der Gesellschaft vorbeigehen“, betonte Werner Franke. Der 76-Jährige stammt aus dem Oberbergischen, lebt aber seit 2006 in Berlin. Seine Scheidung führte zum Verlust der bürgerlichen Existenz. In jungen Jahren als Ostermarschierer aktiv, engagiert sich Franke bis heute in Armutsinitiativen und gibt seine Erfahrungen weiter.
Wie Wohnungssanierungen in die Armut führen können, zeigte sich auf dem Treffen anhand der Geschichte von Gisbert M. Der 65-jährige M. lebt seit mehr als 40 Jahren in seiner 70-Quadratmeter-Wohnung in Essen. Nach einem Schlaganfall vor drei Jahren ist er gehbehindert. Er lebt allein, ist aber in der Nachbarschaft gut verankert. M. verfügt über ein monatliches Gesamteinkommen von 965 Euro, vor allem aus seiner Erwerbsunfähigkeitsrente. Seine Wohnkosten liegen aktuell bei 550 Euro. Jetzt will die früher landeseigene, inzwischen privatisierte Wohnungsgesellschaft die Wohnung modernisieren und die Miete erhöhen. Mit diesen außerordentlich gestiegenen Wohnkosten blieben dem Frührentner nur noch 200 Euro zum Leben.
Aus dem Kölner Vernetzungstreffen lässt sich ein dreifaches Fazit ziehen: Es ist wichtig, dass arme Menschen ihre Rechte kennen. Wichtig ist auch, dass sie lernen, ihre Rechte durchzusetzen. Wichtig ist zudem, dass Arme ihre Erfahrungen teilen und voneinander lernen. „Für die Freie Wohlfahrtspflege ist es Auftrag und Selbstverpflichtung, die Anliegen der Armen zu hören und ihnen bei der Politik Gehör zu verschaffen“, sagte Caritas-Armutsexpertin Michaela Hofmann. Daher werden die Verbände sich verstärkt für preiswerten Wohnraum einsetzen und bei Bund und Ländern Druck machen, mehr in den sozialen Wohnungsbau zu investieren.
Für Anfragen steht Michaela Hofmann zur Verfügung:
Telefon 0221 2010-288, E-Mail <link>michaela.hofmann@caritasnet.de